Der Charme Dublins wirkt spät, aber nachhaltig

Am besten lernt man Städte kennen, wenn man das tut, was die Einheimischen tun. Wenn man sich nicht nur in den Touristengebieten aufhält. Wenn man sich Zeit nimmt.
In Dublin ist das nicht so einfach.
Die Stadt hat eine Ausländerquote von fast 20%, das Durchschnittsalter beträgt 38 Jahre. Wenn man sich die Firmen ansieht, die sich in den letzten 10 bis 20 Jahren in Dublin angesiedelt haben, scheinen diese Angaben plausibel: Google, Facebook, Amazon. Die irischen Steuergesetze sind für die großen, amerikanischen Firmen attraktiv und damit hat sich das Gesicht der Stadt stark verändert.
Das klassische Irland ist hier kaum zu finden.

Also verschieben wir das „Kennenlernen des wahren Irlands“, sofern es so etwas überhaupt gibt, auf später. Wir entspannen uns und spielen Tourist in der großen Stadt. Das hat tatsächlich einen ganz eigenen Reiz.

Wir haben uns für einen ganzen Monat in einem der Dubliner Außenbezirke einquartiert. Ein traditionelles „terraced house“, ein Reihenhaus aus Backstein. Citylage entsprach nicht unserem Budget, und so nutzen wir das ausgezeichnete öffentliche Verkehrssystem, um in die Stadt hineinzufahren – und um die Außenbezirke zu erkunden. Dabei hat sich das Busfahren als unerwartet reizvoll herausgestellt: wie in London verkehren in Dublin Doppeldeckerbusse. Gelegentlich gelingt es mir, im oberen Teil vorne zu sitzen. Ich genieße dieses Gefühl – als läge mir die ganze Stadt zu Füßen.

Anstelle von bemühtem „Wie ich das echte Dublin kennenlernte“ zeige ich euch fünf der großen Erlebnisse sowie fünf der kleinen Alltäglichkeiten, für die wir Dublin am Ende tatsächlich lieb gewonnen haben.

1. Fünf große Erlebnisse

a) Die Bibliothek im Trinity College

Das Trinity College in Dublin ist sehenswert. Das beginnt schon beim weitläufigen Gelände mit vielen Grünflächen, auf denen jetzt im Juni viele meist junge Menschen sitzen, lesen, diskutieren oder einfach die Sonne genießen. Der Cappuccino ist preiswert und diverse Kunstgegenstände laden zum Betrachten ein.

Der Hauptgrund für meisten Nicht-Studierenden, mich eingeschlossen, ist aber die alte Bibliothek. Stolze 18,50 Euro zahle ich Eintritt, um „the Book of Kells“ und den „long room“ zu sehen. Aber besonders die alte Bibliothek lohnt sich – trotz der Menschenmassen. Auf zwei Ebenen erstrecken sich alte Bücher in hohen Nischen. 200.000 Exemplare, die Studierenden und Forschern bis heute zugänglich sind.
Viel mehr als Schauen und Genießen kann man in der alten Bibliothek als Besucher nicht erleben. Auch schon für diese paar Minuten lohnt sich der Besuch.

Bibliothek
Die alte Bibliothek im Trinity

b) Das Guinness Storehouse

Das Guinness Storehouse in Dublin sollte man nicht verpassen. Auch für Nicht-Bier-Trinker ist die Ausstellung auf fünf Etagen ein Erlebnis. Ich zahle 26 Euro, dafür ist eine geführte Verkostung sowie ein Getränk der Wahl im Obergeschoss des Storehauses inbegriffen. Gerade die Bar mit dem 360-Grad-Blick über Dublin ist ein toller Abschluss der Tour.

Bierfabrik Ausstellung
In der Ausstellung

Aber ich greife vor: Zunächst arbeite ich mich durch vier Etagen Ausstellung: über Wasser, Hopfen und Gerste. Über den Herstellungsprozess des Bieres. Ich erfahre, dass die Familie Guinness 21 Kinder hatte, von denen 11 schon im Kindesalter starben. Und gerade, als mein Kopf vor Informationen überquillt und meine Füße müde werden, komme ich zu einem Café und gönne mir eine Pause mit Tee und Scones.
Im Anschluss geht es weiter in dem Gebäude, das einem traditionellen Guinnessglas nachempfunden ist. Besonders eindrücklich finde ich die vielen alten Werbemittel: der Tukan, die Schildkröte, der Seehund. Das Marketing von Guinness ist ja legendär.
Und spätestens nach dem Absacker in der rooftopbar kann ich einen Besuch im Guinness Storehouse nur jedem Dublinbesucher ans Herz legen.

Guinness-Werbung
Guinness-Werbung mit Schildkröte

c) Wandern in den Outskirts – Howth Cliff Walk

Gleich am ersten Wochenende in Dublin zieht es uns raus aus der Stadt, wir haben Lust auf Bewegung und frische Luft. Unser Wanderführer zeigt uns eine Wanderung, eher ein etwas längerer Spaziergang, an der Steilküste von Howth entlang. Durch die Nutzung der öffentlichen Verkehrsmittel sind wir nicht darauf angewiesen, Start- und Endpunkt am selben Ort zu haben und können uns die Rosinen herauspicken: die Wanderung entlang der Klippen vom Leuchtturm bis ins Fischerdorf.
Also kaufen wir uns ein Busticket und fahren gen Norden, nach Howth.
Und wir werden nicht enttäuscht: Der schmale Weg windet sich die Klippen entlang, der Leuchtturm strahlt in der Sonne und die gelben Ginsterbüsche bilden einen reizvollen Kontrast zum stahlblauen Meer. Lediglich die vielen Menschen und das dauernde Ausweichen auf dem schmalen Pfad stören das Erlebnis. Wir nehmen uns vor, beim nächsten Mal die Wochenenden zu meiden.

Blick auf den Howth Leuchtturm
Blick auf den Howth Leuchtturm
schmaler Wanderpfad
Howth Cliff Walk

d) Comfort Food: Beef and Guinness Pie in Howth

Nach knapp zwei Stunden kommen wir in Howth an und haben Hunger. Wir checken die Bewertungen bei Google und entscheiden uns für den O’Connells Pub am Hafen. Und bereuen diese Entscheidung nicht: Wolfgang nimmt „fish and chips“, ich entscheide mich für den „beef and Guinness pie“. Und der ist bemerkenswert. Zartes Fleisch in schwarzer Biersauce, dazu klassisch Kartoffelpüree. Abgedeckt wird die kleine Auflaufform von einer knusprigen Blätterteigkruste.
Ich habe dieses Gericht noch mehrmals in Irland bestellt, es war aber nie so überzeugend wie bei O’Connells.

Beef and Guinness Pie
Beef and Guinness Pie

e) Das Auswanderungsmuseum EPIC

Lange Zeit war ich kein Museums-Fan. Ich verband Museen mit den Erfahrungen meiner Jugend: verstaubte Exponate sowie lange und langweilige Erklär-Texte.
Spätestens seit Irland und Nordirland (und Einbeck) muss ich meine Meinung revidieren: Kuratoren machen heute einen ausgezeichneten Job. Das EPIC residiert in einem der letzten erhaltenen Lagerhäuser in den Dubliner Docklands und erklärt, warum 10 Millionen Menschen Irland verlassen haben und wie sie die Welt beeinflusst und geprägt haben.

Im EPIC wird man durch diverse Räume geleitet, die sich jeweils mit einem Thema befassen: Auswanderungsrouten und Gründe sind nur ein Teil. Die Musikhalle benennt viele Musiker und Bands mit irischen Wurzeln (Thin Lizzy, Kurt Cobain, …), es werden irische Wissenschaftler verewigt (Jocelyn Bell Burnell, …), ebenso wie Persönlichkeiten aus Politik und Kultur, die irische Wurzeln haben (Barack Obama, …). Dazu werden Themen wie Design (Orla Kiely, …), Gleichberechtigung (Mary Harris Jones, …) oder Literatur (G.B. Shaw, …) behandelt.
Ich konnte sogar an einem kleinen Pub Quiz teilnehmen. Und ich habe erfahren, dass Ernest Shackleton, dessen Grab wir in Südgeorgien sahen, in Kildare geboren wurde.
Es hat richtig Spaß gemacht, einen regnerischen Nachmittag im EPIC, im Auswanderungsmuseum zu verbringen. Klare Empfehlung, selbst wetterunabhängig.

Schriftzug EPIC
Vor dem Auswanderermuseum
Kunst
Im Auswanderungsmuseum

2. Fünf kleine Alltäglichkeiten

a) Doppeldeckerbus fahren

Zu den schönsten Alltäglichkeiten in Dublin gehört das Busfahren. Mit etwas Glück gelingt es, im oberen Teil vorne zu sitzen. Aber selbst wenn „ganz vorne“ nicht klappt, bietet die Ansicht von oben andere Einsichten als auf Straßen- und Spazierganghöhe. Der Blick kann weit schweifen und der Perspektivwechsel ermöglicht neue Bilder im Kopf.
Doppeldeckerbus fahren gibt mir das Gefühl, als läge mir die ganze Stadt zu Füßen. Genial…

Doppeldeckerbus
Blick aus dem Doppeldeckerbus

b) The Hungry Tree

Die meisten Pflanzen ernähren sich von Wasser und Licht. In Dublin gibt es dagegen einen Baum, der gerade eine eiserne Parkbank verspeist.
Der hungrige Baum steht im Park der „Honorable Society of King’s Inns“, Irlands ältester Jura-Fakultät, die schon im Jahr 1541 gegründet wurde. Der Baum ist bedeutend jünger, er wird auf 80 Jahre geschätzt. Hat trotzdem einen guten Appetit. Die Parkbank hatte wohl einfach das Pech, zu dicht am Baum aufgestellt zu werden.

Die Besucher freut es, ist es doch mal eine etwas andere Sicht auf eine einfache Parkbank.

BAum isst Bank
mjam mjam mjam

c) Die Salatbar Sprout

Apropos „hungry“: Für mich hat sich in Dublin schnell ein Lieblingsrestaurant herauskristallisiert. Das Sprout & Co. OK; eher ein Schnellrestaurant, aber trotzdem. Da ich es hasse, Salat zu waschen, nutze ich Auswärtsessen gerne dafür, dieser Pflicht zu entgehen.
Spout & Co. ist eine Kette, die warme und kalte Salate anbietet. Und was für welche: viel Grün, viel Gemüse, mit und ohne Fleisch, leckere Saucen und Toppings. Mein Favorit ist der „Kale Caesar“. Hätte als Norddeutsche, die mit Grünkohl aufgewachsen ist, nicht gedacht, dass der „in roh“ wirklich köstlich schmeckt.
Klasse gemacht ist auch die Webseite. Hier findet man Kurzvideos vom Koch, wie die Salate entstehen. Absolut sehenswert: macht Lust aufs Grün und gibt nebenbei ein paar Anregungen, was alles in der Schüssel landen kann. Hier ein Video-Beispiel.

Salatbar
Selten so genialen Salat gehabt wie bei Sprout.

d) Ausgrabungen unter dem Supermarkt

Was mir an Irland gefällt, ist der Pragmatismus.
Würde man bei uns bei Grabungen alte Steine entdecken, müsste sich der Supermarkt vermutlich einen anderen Ort suchen. Nicht so in Irland: Hier wird das Gebäude gebaut – und gewährt dem Besucher Einblick in die Ausgrabung durch Fenster im Boden.
Beim Lidl mitten im Zentrum von Dublin ist genau das geschehen. Neben den Glasscheiben im Fußboden sind Informationstafeln aufgehängt, in denen die Fundstücke beschrieben werden.
Eindeutig ein Einkaufserlebnis der anderen Art.

Ausgrabungen im Supermarkt
Ausgrabungen unter dem Supermarkt

e) Die Georgianischen Türen der Dubliner Stadthäuser

Wenn man durch Dublin schlendert, fällt eines schnell auf: die bunten Türen.
Es kursieren verschiedene Legenden über den Ursprung der bunten georgianischen Türen. Hier die beiden plausibelsten:
Die bunten Türen könnten eine Form des Protests gegen die britische Herrschaft sein. Als Königin Victoria 1901 starb, wurde angeblich angeordnet, dass alle Türen aus Trauer schwarz gestrichen werden müssten. Stattdessen strichen die Iren ihre Türen in allen Farben – außer schwarz.
Eine andere Legende behauptet, dass die Farbe betrunkenen Zeitgenossen das Finden der eigenen Haustür nach einem Pub-Besuch erleichtern soll.
Eine der beliebtesten Geschichten handelt von den irischen Schriftstellern und Nachbarn George Moore und Oliver St. John Gogarty. Die Legende besagt, dass Gogarty oft betrunken nach Hause kam und fälschlich an Moores Tür klopfte.
Um seine Ruhe zu haben, strich Moore seine Tür grün an. Gogarty eskalierte, indem er seine Tür rot anstrich, und der Trend der bunten Türen in Dublin war geboren.

Wo auch immer der Ursprung der bunten Türen liegt, die Schönheit der Farben inmitten einer eher grauen Stadt ist nicht zu unterschätzen.

Bunte Türen
Bunte Türen in Dublin
Häuser mit bunten Türen
… nicht nur bei den Nobelhäusern.

Wenn ich mir die 10 Punkte so durchlesen, muss ich feststellen, dass Dublin doch eine gewissen Faszination in mir ausgelöst hat.
Vielleicht sind es nur Kleinigkeiten.

Am Ende schimmert aber gerade bei den kleinen Dingen das ursprüngliche Irland doch ein bisschen hervor.

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