Man sollte meinen, dass Italien für Motorradfahrer aus dem Süden Deutschlands ein alter Hut ist. Immerhin waren wir alle schon sehr oft dort. Meine erste längere Solotour – vier Monate nach dem Bestehen meiner Führerscheinprüfung – führte mich für 10 Tage in die Toskana. Für die Unerschrockenen unter uns ist die Pizza in Sterzing der Höhepunkt der Tagestour von München aus. Und selbst unser Weg nach Norwegen ging zunächst in die Dolomiten – wir hatten Lust auf Kurven und es lag ja fast auf dem Weg. *grins*
Aber Italien schafft es immer wieder, uns zu bezaubern. Egal, ob es die geschwungenen Kurven der Dolomiten sind, die Zypressen in der Toskana oder das unübertroffene Pistazieneis in Rom: Italien zeigt sich stets aus einer neuen Perspektive. Das macht es zu einem so spannenden Urlaubsland.
In diesem Jahr wären wir beinahe nur durchgefahren. Wir kamen aus dem kalten Norden, hatten Norwegen, Finnland und das Baltikum hinter uns gelassen und wollten ins Warme. Nach Griechenland. Zum Überwintern. Habe ich schon mal erwähnt, oder?? Und da im Raum stand, dass es in Griechenland wegen Corona Probleme mit der Einreise geben könnte, beschlossen wir, nicht gemütlich und langsam durch Italien zu bummeln, sondern zügig unterwegs zu sein.
Dies war die Planung, bis ich mit einer meiner Lieblings-Münchnerinnen telefonierte: Tatjana erzählte mir, dass sie in der kommenden Woche Urlaub habe und zur Olivenernte in die Toskana fahren würde. Wir hatten das Thema im Sommer besprochen; zu dem Zeitpunkt war ich der Meinung, dass wir im Oktober kaum in Italien sein würden. Aber da wir die Wetterverhältnisse in Skandinavien derart grandios unterschätzt hatten, waren wir zu dem Zeitpunkt bereits in Österreich. Auf dem Weg nach Süden. Und die Entscheidung fiel schnell: wir hatten noch niemals Oliven geerntet und würden in den folgenden Tagen alle lockenden Seitentäler der Alpen und der Dolomiten *seufz* ignorieren und Tatjana und ihrem Mann in die Toskana folgen.
Olivenernte in der Toskana
Gesagt, getan, so kamen wir in den Genuss, zumindest an einem Tag im Olivenhain zu stehen und bei der Ernte zu helfen. Wir hatten im Vorfeld keine Vorstellung, wie das Ganze ablaufen sollte, aber es hat sich als unerwartet meditativ herausgestellt. Am nächsten Tag hatten wir trotzdem Muskelkater in Armen und Schultern und waren froh, dass Olivenpflücken nicht unser Brotjob ist. Zurück in den Olivenhain: Es handelte sich um einen kleinen privaten Garten und die meisten Bäume waren bereits abgeerntet. Wir haben auf dem Boden Netze um die restlichen Bäume ausgelegt und die Äste dann mit großen Kämmen (wie kleine Gartenharken) ausgekämmt: die Äste flutschten durch die Kamm-Zwischenräume und die reifen Oliven fielen auf den Boden. Ins Netz. Wir haben sie dann nur noch in Kisten gefüllt und ein paar Äste und Blätter entfernt. Schon am folgenden Morgen waren sie auf dem Weg in die Presse.
Diese Art des Olivenerntens ist eine schöne, ruhige Arbeit. Befriedigend. Auch wenn uns nach ein paar Stunden Arme und Schultern weh taten. Obwohl die Bäume klein waren, haben wir meist mit erhobenen Armen gearbeitet. Und ich hatte Glück, da Wolfgang mit seinen fast 1,90 Metern Körpergröße die oberen Äste übernommen hat.
Mittags gab es Sandwiches und Trauben. Wir saßen auf dem Boden und waren froh, die Arme entspannen zu können. Es war schön in der Sonne. Aber bald mussten wir wieder loslegen, wir hatten uns nämlich 15 Kisten (à 20 Kilo) als Tagesziel vorgenommen. Das ist die Mindestmenge bei der Presse. Bringt man weniger, muss man trotzdem für 300 Kilo bezahlen. Wir haben es fast geschafft. Am nächsten Abend brachten Tatjana und Olly uns zwei Kanister Olivenöl – als Geschenk für unsere Mithilfe. Wir waren stolz wie Oskar und haben uns in den nächsten Tagen praktisch von Focaccia, Salz und frischem Olivenöl ernährt. Wusstet ihr, dass frisches Olivenöl scharf ist? Superlecker und gesund (es sei denn, man ernährt sich ausschließlich davon). *smile*
Der schiefe Turm von Pisa ist vor allem eines: schief
Wir waren zwar für die Olivenernte in die Toskana gekommen, aber wir wollten auch Sightseeing betreiben. Und nachdem wir beide nie in Pisa waren, fällt die Entscheidung nicht schwer. Wir füttern unsere Calimoto-App mit dem Ziel „schiefer Turm“ und fahren los. Die Sonne scheint, der Himmel ist wolkenlos und die Kurven der Toskana sind fürs Motorradfahren wie geschaffen. Wir genießen jede Kurve.
An Kreisverkehren fallen uns die Hinweisschilder nach FI PI LI auf. Zuerst sind wir verwirrt, irgendwann wird uns klar: das ist die Abkürzung für Florenz (italienisch: Firenze), Pisa und Livorno. Platzsparend und intuitiv, wenn man es erst mal begriffen hat.
Wir kommen in Pisa an und haben Glück: der auf der Satellitenkarte ausgespähte Motorradparkplatz ist vorhanden und hat genau zwei freie Plätze. Wir müssen nicht weit laufen. Und wir haben den Vorteil, dass wir während einer Pandemie unterwegs sind: es sind kaum Touristen da. Trotzdem ist der Turm stark bewacht, Soldaten mit automatischen Waffen bewachen den Platz. Wir stellen uns vor den Turm, nehmen kurz unsere Masken ab und machen die obligatorischen Selfies. Die Spielereien mit dem gespielten Abstützen des Turmes sparen wir uns allerdings.
Der Turm selbst ist beeindruckend. Zunächst denken wir: nun ja, ein Turm halt. Nur schief. Aber wer weiterforscht, stellt fest, dass der Turm schon sehr früh in seiner Bauzeit begann, sich zu neigen. Die Baumeister jedoch haben es geschafft, dem entgegenzuwirken, indem sie die abgewandte Seite anpassten und es so schafften, den Turm zu stabilisieren. Ansonsten würde er wohl nicht mehr stehen. Dem Betrachter fällt nicht auf, dass die Seiten unterschiedlich sind. Geschichte kann so spannend sein.
Italienisches Flair und Pizza in Lucca
Auf dem Rückweg machen wir Halt in Lucca. Dieses alte toskanische Städtchen hatten uns unsere Toskana-Profis Tatjana und Olly empfohlen, und sie hatten mal wieder vollkommen recht. Wir parken unsere Hondas am Stadtrand, verstauen die dicken Motorradjacken im Topcase und laufen los. Lucca ist eine alte Stadt, wie eine Ellipse geformt, mit einer großen und breiten Promenade, die sich auf der Stadtmauer um die ganze Stadt herumzieht. Hier brummt das Leben: Radfahrer, Skater, Spaziergänger, Kinder und Kinderwagen. Wir haben Glück, denn es ist warm und sonnig.
Die Stadt selbst ähnelt zunächst den meisten toskanischen Städten: kleine verwinkelte Gassen, alte Häuser, Bars. Der größte Platz ist die Piazza dell’Anfiteatro, an dem sich früher das Amphitheater befand. Bei genauerem Hinsehen ist es gut zu erkennen: die elliptische Form, die vier symmetrisch angeordneten Tore und die dichte Bebauung dort, wo sich früher die Tribünen befanden. Rundherum finden sich Restaurants, Bars sowie diverse Delikatessenläden, deren Auslagen uns schon das Wasser im Munde zusammenlaufen lassen. Wir suchen uns eine ruhige Ecke und bestellen Espresso und Pizza. Pisa und Lucca müssen ja erst einmal verdaut werden. Das Essen ist ausgezeichnet und wir sitzen lange einfach nur da und beobachten das Treiben. Am Ende sind wir uns einig: Lucca ist auf jeden Fall einen Abstecher wert.
Der Zauberbaum, unter dem Pinocchio entstand
Für den Rückweg hatten wir uns einen weiteren Haltepunkt ausgeguckt, den ich bei atlas obscura entdeckt hatte (ihr erinnert euch, die Webseite für skurrile Sehenswürdigkeiten): den „oak of the witches, die Hexeneiche. Der Weg dorthin ist schmal, steinig und steil. Wir fluchen ein bisschen auf den Motorrädern, aber der Anblick des Baumes entschädigt uns für alles. Die Eiche ist über 600 Jahre alt und überwältigend. Ihre dicken, moosbewachsenen Äste erstrecken sich horizontal und geben ihr ein etwas gequetschtes Aussehen. Dem majestätischen Gesamteindruck tut das keinen Abbruch. Einer lokalen Legende zufolge versammelten sich einst Hexen in ihrem Schutz. Und angeblich wurden einige Kapitel von Pinocchio hier geschrieben.
Es ist schon dunkel, als wir am Hotel eintreffen. Müde und glücklich genießen wir den Abend wieder zu viert – mit Rotwein, Olivenöl und Focaccia. Und eingelegten Artischocken. Was auch sonst?
Am Folgetag verlassen wir die Toskana auf dem Weg nach Süden.
Arezzo. Mittelalterliches Kleinod auf dem Weg nach Süden
In Arezzo suchen wir den örtlichen Hondahändler auf. Wolfgang hat für meine Africa Twin einen Inspektionstermin vereinbart. Unsere Motorräder sind ja recht neu und haben noch Garantie, daher wollten wir den Zeitpunkt der 24.000 Kilometer-Inspektion nicht verpassen. Eigentlich hatten wir in der Slowakei schon einen Termin. Der Händler dort wollte allerdings drei Tage Zeit, um die Inspektion durchzuführen, das war uns im Vorfeld nicht klar. Lost in translation (und im Email-Verkehr). Zum Glück erkannten wir das Missverständnis beim Abgeben der Honda und konnten den Auftrag stornieren. Honda gibt die Dauer der Inspektion mit 3 Stunden an – und auch Wolfgangs Motorrad wurde in Tallinn innerhalb von 3 Stunden inspiziert. Nun denn, hier in Arezzo klappt alles fabelhaft. Wir geben das Motorrad vormittags ab, besichtigen die Stadt, und holen es am Nachmittag wieder ab: unter anderem mit neuen Bremsklötzen und einem frischen Stempel im Serviceheft.
Arezzo selbst ist ein gepflegtes mittelalterliches Städtchen. Wir laufen durch die Gassen und suchen die Piazza Grande. Dieser zentrale Platz wurde an einen Hang gebaut und ist dadurch schräg. Wir bewundern die Kunst der alten Baumeister, die es geschafft haben, die angrenzenden Kirchen, Häuser und Arkadengänge trotzdem waagerecht zu bauen. Was für eine Leistung. Später steigen wir zur Fortezza Medicea, zur Festung der Medici hinauf. Von der Burganlage aus hat man einen ausgezeichneten Blick ins Tal und auf die Altstadt, ebenso wie auf einen riesigen Friedhof und auf ebenso gewaltige Vogelschwärme.
Wieder unten in der Stadt suchen wir ein Restaurant, um etwas zu essen. Das ist in Zeiten von Corona gar nicht so leicht, da vieles geschlossen ist. Wir haben Glück und finden eine Focacceria mit einem geöffneten Außenbereich, so dass wir vorzüglichen Cappuccino und noch bessere belegte Focaccias bekommen. Regelmäßig laufen Passanten mit Eiswaffeln an uns vorbei, so dass wir schnell beschließen, dass es Pistazieneis zum Nachtisch geben wird. Und wieder werden wir nicht enttäuscht – italienisches Pistazieneis ist unübertroffen (das hatten wir vor Jahren in Rom bemerkt, so dass wir uns damals drei Tage lang praktisch von Pistazieneis ernährt hatten).
Unser Eindruck von Süditalien
Im Süden Italiens, also alles südlich von Rom, sind die Straßen hundsmiserabel. Kaputter Asphalt. Viele Schlaglöcher, Unbefestigte Ränder. Bis in die Fingerspitzen spüren wir, dass diese Gegenden viel ärmer sind als der Norden mit seinem Obstanbau oder die tourismusorientierte Toskana. Einmal kurven wir mehrmals um einen Ort herum und hindurch, da wir den Ausgang nicht finden können. Das heißt: eigentlich hätten wir ihn schon gefunden, aber wir kommen immer wieder auf Straßen, die für Motorradfahrer verboten sind. Die ersten beiden Male drehen wir um und versuchen, einen anderen Weg zu finden. Irgendwann sind unsere Möglichkeiten, gen Süden zu fahren, erschöpft. Wir geben auf und nehmen die nächstbeste Straße. Und suchen die ganze Zeit nach einem Problem, nach einem Grund, warum die Straße gesperrt wurde, aber wir finden keinen. Es dauert eine Weile, bis wir eine für uns plausible Theorie finden: die Straßen sind so schlecht, dass die Verwaltung befürchten muss, bei Problemen haften zu müssen. Sie haben aber nicht ausreichend Budget für Reparaturen. Also verlagern sie die Verantwortung auf die Einzelnen.
Ein kreativer Weg aus der Zwickmühle, zugegeben, aber für uns macht es die Navigation aufwendig.
Die kleinen Dörfer, durch die wir kommen, sind deutlich schäbiger als wir es von Nord- und Mittelitalien gewohnt sind. Auf der anderen Seite wirken sie gerade deswegen charmant – und auf den Straßen ist meist überraschend viel los. Also viel mehr, als man während einer Pandemie erwarten würde. Immerhin tragen die meisten Menschen einen Mundschutz. Zugegeben, oft schaut die Nase noch raus und es ist mehr ein Kinn-Schutz als ein Mund-Nasen-Schutz, aber es ist ja draußen. Ich hoffe, drinnen herrscht mehr Disziplin.
Griechenland, wir kommen
Endlich erreichen wir Brindisi, von wo aus wir die Fähre nach Griechenland besteigen wollen. Dieses Mal waren wir nur 14 Tage in Italien. Aber egal, wir waren schon so oft hier und werden hoffentlich noch oft kommen, dass wir uns jetzt auf das nächste Land unserer Reise konzentrieren können.
Zum x-ten Mal in den letzten Tagen checken wir die Reise-App des Auswärtigen Amts: In Griechenland gibt es ein paar Gebiete, in denen Lockdown herrscht, weil die Fallzahlen für Corona zu hoch sind: Athen, Thessaloniki, Kozani. Wir planen, die Peloponnes zu erkunden. Diese Halbinsel liegt im Westen von Griechenland, ist nur mäßig besiedelt und von Corona weitgehend verschont. Außerdem sollen sich hier die schönsten Strände Griechenlands befinden. Natur und reizvolle Strände, das klingt in unseren Ohren paradiesisch. Da wollen wir hin.
Wir prüfen die Lockdown-Infos der griechischen Regierung. Griechenland hat ein Ampelsystem, so dass wir taggenau im Internet prüfen können, wie die Verhaltensregeln für unseren Aufenthaltsort sind. Praktisch. In der Theorie.
Wie dies dann in der Praxis aussah, davon in unserem nächsten Blogbeitrag. Bleibt dran!
Und weil ich – wie so oft – viel mehr Fotos zeigen will, als hier in diesen Artikel passen, gibt es eine Bilder-Galerie Italien.