Es ist mal wieder heiß. Wirklich heiß. Das Thermometer am Motorrad zeigt 34 Grad, dabei liegt der Temperaturfühler nicht mal in der Sonne. Wir haben sämtliche Lüftungsschlitze an den Kombis geöffnet. Und wir sind froh, dass wir auf dem Weg nach Pichilemu nicht an einer einzigen Kreuzung oder Ampel halten müssen.
Wir haben das SudEste anhand seiner Lage ausgewählt. Das Hostel liegt direkt an einem breiten Sandstrand, die hohen Wellen sehen schon auf den Bildern im Internet beeindruckend aus. Nach dem stylischen AirBnB die letzten Nächte ist ein Vierbettzimmer im Hostel zwar gewöhnungsbedürftig, aber als wir ankommen, sind wir mit unserer Entscheidung sehr zufrieden. Die Mitarbeiter sind hilfsbereit und der Blick vom Aufenthaltsraum aus aufs Wasser ist spektakulär.
Wir verbringen viel Zeit damit, den Strand entlangzulaufen, auf den Felsen zu sitzen und den Blick zu genießen. Zu hohe Wellen und zu niedrige Temperaturen verhindern allerdings das Baden. Schon lustig, zehn Kilometer weiter im Inland haben wir über hohe Temperaturen gestöhnt, hier laufen wir mit Daunenjacke und Wollmütze am Strand entlang.
Was Wind doch ausmacht.
Essen
Nach den ersten Wochen im Land haben wir einen Eindruck vom Essen hier gewonnen und es gefällt uns gut. Schon auf dem Hinweg haben wir auf jedem Flug Quinoa serviert bekommen. Quinoa ist hier sehr verbreitet, stärker noch als Reis. Auch in den Supermarktregalen findet man mehr Quinoa als Reis.
Und dann gibt es Ceviche: rohen, mit Zitronensaft marinierten Fisch. Fanden wir in Costa Rica schon lecker, kriegen wir hier regelmäßig. Chile hat ja fast 4000 Kilometer Küstenlinie, da gehen wir davon aus, dass der Fisch immer frisch ist. Und wir sind bislang nicht enttäuscht worden.
Interessanterweise gibt es kaum frische Milch. Im Gegenteil, wir sehen komplette Supermarktgänge mit laktosefreier Milch. Ich freue mich, dass es auch Sojamilch gibt. Wir sehen verschiedene Sorten, sogar eine lokale: NOT MILK, heißt sie hier (es gibt auch NOT MEAT und NOT MAYO). Die Firma NOT ist chilenisch, und die Sojamilch schmeckt gut. Mal sehen, ob ich sie in kleineren Orten auch bekommen kann.
Das Trinkwasser in Santiago dagegen ist stark gechlort und praktisch untrinkbar, ebenso in Valparaiso. Je weiter wir jedoch gen Süden fahren, desto besser wird es. Gut so, uns gefällt das dauernde Plastikflaschen-Einkaufen ohnehin nicht.
Was uns dagegen sehr gefällt, sind die Empanadas am Straßenrand. Wir haben die Essenszeiten der Chilenen noch nicht begriffen und stehen öfter vor verschlossenen Türen. Oder es gibt nur „außer-Haus-Essen“. Empanadas dagegen gibt es am Straßenrand immer und überall. Die Teigtaschen sind mit allem möglichen gefüllt. Die auf dem Bild waren mit mariscos, Meeresfrüchten. Hauptzutaten sind aber immer gebratene Zwiebel und Knoblauch. Hmmm.
Und mal wieder eine Polizeikontrolle
Wir fahren in Richtung Anden. Auf dem Flug haben wir die schneebedeckten Fünftausender von oben bewundert, jetzt wollen wir sie aus normaler Perspektive betrachten. Da Chile hier gerade mal 200 Kilometer breit ist, geht das schnell. Wir suchen uns den Vulkan Antuco heraus und finden in Tucapel ein gepflegtes AirBnB für ein paar Nächte.
Auf dem Weg nach Tucapel geraten wir in unsere erste Polizeikontrolle in Chile. Wie zu erwarten war, stellt sie sich als undramatisch heraus: Der Polizist will Wolfgangs Pass und seine Einreisekarte sehen. Er erklärt seinem offenbar dienstjungen Kollegen, worauf er bei einer Kontrolle zu achten habe, wünscht uns eine gute Reise und lässt uns weiterfahren. Meinen Pass wollte er nicht einmal sehen.
Wir erinnern uns mit einem leichten Schauern an die Begegnung mit der Polizei in Aserbaidschan und fahren weiter.
Die Sonne scheint, nicht nur von außen.
Vulkane
Der Antuco ist bereits aus der Ferne zu sehen. Die gut ausgebaute Straße führt stellenweise direkt auf ihn zu. Der Vulkan ist in Chile auch wegen einer traurigen Begebenheit bekannt, der „Tragedía de Antuco“. Im Mai 2005 starben hier 45 Soldaten in einem Schneesturm. Die unerfahrenen Rekruten wurden trotz des angekündigten Unwetters losgeschickt. Die verantwortlichen Vorgesetzten wurden später zur Rechenschaft gezogen. Heute erinnern mehrere Mahnmale am Wegrand an die Tragödie.
Uns begeistert der knapp 3000 Meter hohe Stratovulkan trotz seiner dunklen Vergangenheit. Majestätisch thront er über dem Tal, umgeben von Lagunen, Flüssen, Wäldern und Schotterstraßen.
Und noch mehr Vulkane
Unser nächstes Zwischenziel ist Pucon, am Fuße des Vulkans Villarica. Wer nichts mehr von Vulkanen lesen möchte, darf hier aufhören. Wir haben noch nicht genug davon und fahren in den Nationalpark hinein: geschwungene Kurven, drei verschiedene Vulkane und eine Unmenge von Araukarien.
Araukarien sind eine spezielle Baumart, die sich fast ausschließlich auf der Südhalbkugel findet. Ihre stacheligen Blätter sind schraubenförmig um die Äste gelegt und erinnern an eine Papierfalttechnik, die wir als Kinder aus Papierstreifen praktiziert haben. Araukarien werden sehr hoch, stehen oft alleine und sind echte Hingucker.
Wir haben uns ein Stück außerhalb von Pucon eine kleine Hütte gemietet. Rafael, unser Vermieter, ist Indigener, also Mapuche. Er spricht, wie die meisten unserer Vermieter bislang, kaum Englisch. Und leider ist mein Spanisch grottenschlecht.
Unsere Konversation läuft daher über eine Mischung aus Spanisch, Englisch-Brocken und Google Translator. Wobei die App mit Rafaels Aussprache derartige Probleme hat, dass wir sein langsames Spanisch eher verstehen als die Übersetzung. Rafael hat lange in Santiago gelebt und war Geldtransportfahrer. Aufgrund der Pandemie wollte er aber aus der Stadt fort, und da der Rest seiner Familie in Pucon lebt, ist er hierher gezogen. Er hat eine Wiese gekauft und ein Häuschen für sich, seine Frau und die beiden Töchter gebaut. Daneben stehen zwei Glampinghütten, die er vermietet. So früh in der Saison ist nichts los, aber er erzählt stolz, dass beide Hütten den ganzen Januar über vermietet sind. Die Sommerferien beginnen hier Mitte Dezember und enden erst Anfang März.
Rafael berichtet, dass es in diesem Teil von Chile oft zu Zusammenstößen von Mapuches mit der chilenischen Regierung kommt. Die Mapuche wollen das enteignete Land zurück, dass ihnen vor Jahrhunderten weggenommen wurde, die chilenische Regierung stellt sich dagegen. Wir wurden schon mehrmals gewarnt, in dieser Gegend nachts unterwegs zu sein. Bei unserem langsamen Reisestil ist das zwar unwahrscheinlich, trotzdem schärft uns Rafael ein, ihn über WhatsApp anzurufen, falls wir Probleme mit Mapuche bekommen sollten.
Würden wir dem Klischee der Influencer entsprechen, könnten wir jetzt eine dramatische Geschichte entwickeln: drohende Gefahr, Brandflecken auf der Autobahn, Warnungen vom Auswärtigen Amt, Militär auf Autobahnbrücken und so weiter. Das alles haben wir tatsächlich auch gesehen. Aber wir sind wir – und gehen mit einer großen Portion Realismus durch die Welt. Und diese sagt uns, dass wir den Kampf der Mapuche gut verstehen können, der braucht ein bisschen Presse. Touristen, die zu Schaden kommen, wären aber kontraproduktiv. Trotzdem ist es natürlich hilfreich, im Falle eines Falles eine Telefonnummer zu haben.
Und so reisen wir entspannt weiter, zum nächsten Vulkangebiet.
Mehr Fotos findest du in unserer kontinuierlich wachsenden Bildergalerie Chile.
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